Donnerstag, 25. August 2022

Die Empore der Empörung

ja, ja, liebe Angesprochene, wenn man hier in diesem Minenfeld der korrekten, gendergeprüften Anredeformen nicht sattelfest ist, dann braucht man erst gar nicht versuchen, etwas zu Papier zu bringen, was andere vielleicht mit Lust und Liebe zu lesen bereit wären. Also, das fängt schon hier direkt vor meiner Schlammkuhle an: - Unsere Briefträger*in schien – von mir durch das Stallküchenfenster beobachtet - schon ihren menschlichen Rüssel bei der Zustellung eines Briefes zu rümpfen, den mein alter niederländischer Eberfreund aus Studententagen, Prof. Dr. Pig van Rüsselen aus Mast-Richt, mit schwungvoller Handschrift an uns schrieb und ihn mit „Herrn Eberhard von Porcus und Familie“ adressierte, was ja an sich schon offenbar eine verbal-semantische Kriegserklärung an die heiß umkämpften Errungenschaften feministischer Kampfhennen des Mainstreams der sorgenfreien Wohlstandsgesellschaft ist. Getoppt wurde es von dann noch von unserer Frau Nachbar*in, die ich in naiver Weise – da sie selbst zufällig gerade ihren Briefkasten leerte und nur Werbung darin fand -, auf das Kuvert mit der gestochenen Handschrift meines Freundes, Produkt eines Montpic- Füllfederhalters des obersten Preissegmentes in einer schreiberfahrenen Akademiker- Pfote, schwärmerisch aufmerksam machte. Wo, bitteschön, sei hier Frau von Porcus erwähnt, wenn sie doch auch Adressat*in sei? Und unsere Ferkel-Tochter? Warum werden sie – da beweiskräftig nicht explizit von meinem Freund mit auf das Kuvert gebannt – so bitterböse ignoriert und damit diffamiert, wie es nur eine Ausgeburt einer jahrhundertlangen Denke von „alten weißen Ebern“ geschuldet sein kann, die sich der neuen Sprachregelung offenbar in vollem Vorsatz entgegenzustellen gewillt sind usw. Meine Nackenborsten stellten sich auf und für einen Moment – aber nur für einen kurzen! – war ich sprachlos. Meine unbemannte menschliche Nachbarin lehrt ja auch an einer Uni und daher war ich bei der sonst eher unterkühlten, aber doch freundlich im Umgang geschätzten mittvierziger Katzenliebhaberin mit der leicht ergrauten Löwenmähne und den lindgrünen, gefilzten Gesundheitshausschuhen über den Hufen etwas überrascht von diesem fast schon emotionalen Ausbruch weiblicher postklimakterieller Inbrunst. Sie ließ mich stehen und entsorgte ihre Werbeprospekte des Reformhauses mit weiterhin eiferndem Kopfschütteln in die blaue Papierabfalltonne und rauschte mit ihrem bodenlangen, orangen Wochenendkleid zurück in ihren Biotop.

Schuldbewusst stand im nun zurückgelassen am Briefkasten, in meinen zitternden Pfoten den handgeschöpften „casus belli“ aus Mast-Richt, der offenbar mich und meine Generation klar zum Klassenfeind des Fortschritts einer neuen, besseren, gegenderten Welt stigmatisierte. Ich merkte, dass ich mich jetzt dringend zum selbstreflektorischen Nachdenken mit Potenzial zu postsozialistischer Selbstbezichtigung in meinen Stall unter die gemütliche Ferkelwärmelampe zurückziehen sollte, um einen kritischen Blick in mein offenbar reaktionäres, durch ein scheinbar gefährlich überkommenes Familien- und Frauenbild geprägtes Innerstes zu werfen, am besten bei einem heißen Kaffee aus Bio-Anbau in Pigzuela. Um mein offensichtliches und schonungslos nachbarschaftlich entblößtes Defizit der politisch verordneten Mainstreamthemen wie zB die gendergerechte Sprache aufzubürsten, ließ ich meine Pfoten über mein Mobilphon flitzen und gab mich dem hin, was die Sozialen Medien so im Augenblick bewegt. Die Themen waren vielfältig und natürlich leider überschattet Krieg und Elend, Hunger und Vertreibung und dem bevorstehenden Frostwinter, der uns in den Gas-Fallen fossiler Abhängigkeiten gefangen, zum Zittern verdammen wird. So jedenfalls twittern die Politpiger*innen und werden nicht müde, immer neue Einschränkungsszenarien schon ´mal an den Mann, die Frau, die Sau und den, der, die oder das Divers zu bringen. (Hier kann ja bestens die Erfahrung der Corona Hausarreste eingebracht werden…)

Die sinkende Fieberkurve der Thermostate an den Heizkörpern würden gar Volksaufstände nach sich ziehen und Corona würde zudem reiche Ernte halten, nicht nur bei wohlbestallten, geimpften, reifen Eber*innen und Ebern wie zB uns, sondern überall dort, wo man auf den unerhörten Gedanken käme, nicht zu glauben oder hinzunehmen, was regierungsnahe Expert*innen und ebenso polit-freundliche Medien oder gar höchste Gerichte mit besten Beziehungen ins Kanzleramt uns auf die Schwarte verordnen würden…..grunz… ☹ Aber da hat man die Rechnung ohne den deutschen Michel gemacht! – Natüüürlich steht er nicht auf um zu protestieren, aber er macht seiner ganzen Wut Luft mit Empörung im Netz, Schmähungen der Amtsträger*innen und um überhaupt mit „denen da oben“ ´mal richtig – verbal! – abzurechnen. Dabei hat er sie doch mit ziemlicher Eindeutigkeit gewählt? Oder irre ich mich? Wenn man, wie wir Nutztiere auf der anderen Seite der Fleischtheke seinen Platz finden muss, darf man natürlich nicht mitmachen, beim großen Wahlzirkus.

Obwohl: - wir haben uns schon gefreut, dass nun mehr Grüne Müsli Interessen kommen sollten, wir vielleicht endlich nicht mehr in unwürdigen Tiertransporten quer durch Europa gekarrt werden würden, bevor uns das Schicksal mit weißer Gummischürze und scharfen Klingen ereilen würde, für 3 Euro das Pfund…..aber – ´mal Hand aufs Herz – wir wissen doch alle, dass dies nur (Wahlkampf) Phrasen sind, die man schnell über Bord wirft, wenn man an den Fleisch - (oder Tofu - ..) und Geldtöpfen der Macht Platz nehmen darf…..ja, ja, da heißt es „von den Grünen lernen heißt sich anpassen lernen“.

Jedenfalls sind wir – so meine Wahrnehmung – eine Nation empörter Empörung geworden; egal was politisch sinnvoll oder abwegig erscheint, wir sind erst einmal dagegen, fühlen uns von Verschwörungstheorien umzingelt und viele wähnen, dass alle politisch Handelnden im Land nur Marionetten einer kleinen weltweiten Machtelite sind, die in ihren Elfenbeintürmen erstens: ihre Machtübernahme und zweitens: den Weltuntergang planen.

Als ob man diese Mogule bräuchte, solange man erfahrene Politprofis wie Herrn Lauterpig, Frau Pigbock, Herrn Habock, Frau Postbotin Esken oder CumExProfi im Weltergewicht Scholz an der Regierungsmacht hat, das klappt alles bestens auch ohne den kleinen Laschet. Ja, da empören wir uns kräftig mit empörten Posts, mit denen wir es denen ´mal so richtig geben, eben mit uns nicht, wir sind das Volk, oder so! Und dann genießen wir noch vor Empörung wohlig schaudernd einen gut temperierten Chateau-Neuf-du Pig und wissen doch genau, dass uns keiner den Gashahn und das Warmwasser abdrehen würde, der, die, das demnächst oder später wiedergewählt werden will…nämlich an den warmen Ofen des Berufsbildes Berufspolitiker*in, das man auch ohne große Abschlüsse in Güllewissenschaften oder einen Doktortitel in Schweinologie bequem ausfüllen kann.

Ihr Eberhard von Porcus


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