Sonntag, 30. August 2015

Geschwisterbande, Familienbande und andere kriminelle Vereinigungen...

Verehrte Leserin, verehrter Leser,
Was haben die Regenzeit in den Tropen,  Asylanten in der EU und Geschwister gemeinsam? Sie kommen ob man will oder nicht und sie sollen nur Vorteile bringen und eigentlich soll man sie ja willkommen heißen usw. Naja, Sie kennen das alles ja spätestens seitdem man Ihnen als Kind mit Nutella-klebrigen kleinen-Geschwister-Fingerchen die LEGO-Burgen zerlegte oder den Cassetten im Recorder durch „Bandsalat“ den Garaus machte während Sie in der Schule waren und Ihre Eltern angesichts dieser für Sie globalen Katastrophe auch noch nachsichtig lachten und sie zu ebensolchem Verhalten aufforderten, obwohl Sie damals den heutigen Zalando-Zustelldienst gerne für eine portofreie und unwiderrufliche Rücksendung des Übeltäters zu gerne in Anspruch genommen hätten….
Okay, ich WAR (und bin) der kleine Bruder und weiß sehr wohl, wovon ich spreche. Die Eigentumsverhältnisse gegenüber den Besitztümern meiner großen Schwester sah ich sehr liberal, deren Freundinnen, Schallplatten und später auch Teeangerlieben haben mich sehr interessiert und meine Anwesenheitswünsche bei der einen oder anderen Gelegenheit in der elterlichen Wohnung und in ihrem Zimmer hat sie sicher als sehr entbehrlich bewertet und mich nicht immer mit auf den Genfer Konventionen des Kriegsrecht bestehenden Mitteln hinauskomplimentiert…heute hat sich unsere gegenseitige „Willkommenskultur“, um in aktueller Terminologie zu bleiben, natürlich sehr verändert.  Wir sind „dicke“ Miteinander, obwohl uns räumlich die Republik trennt und meistens  erst der Besuch bei unserer Mutter einen persönlichen Austausch oberhalb neuer Medien erlaubt.
Zusammen haben wir mittlerweile mehr Kerzen auf einem fiktiven, gemeinsamen Geburtstagskuchen als jede Feuerversicherung zu decken bereit wäre und doch ist auf wunderschöne Art und Weise die geschwisterliche Vertrautheit  geblieben.  Daran haben höchst unterschiedliche Lebenswege, Weltanschauungen (ich dachte früher sie MUSS einfach vom Briefträger sein!) und glückliche oder glücklose Partnerschaften und Ehen nichts geändert. Das Modell „Geschwistermafia“, also alle im Umkreis von drei Häuserzeilen vom elterlichen Stall angesiedelt,  hat es bei uns nie gegeben. Mal habe ich das bedauert, wenn ich als Geisteswissenschaftler versuchte die Leuchtdioden meiner Deckenlampe möglichst unfallfrei selbst auszutauschen und auch manchmal an traurigen Geburtstagen, an denen ich so gerne den Stall vollgehabt hätte und doch nur 2-3 Kuchenstücke vom Bäcker auf ein bis zwei Tellern zu verteilen hatte, und dann wiederum auch zu schätzen gewusst, wenn unsere raren Treffen und Wiedersehen unbelastet des Alltags waren.
Dieser Monat August ist für mich immer ein besonderer. So werde ich diesmal  bei meinem hochsommerlichen Geburtstag zwei Fünfen zu verkraften haben, was an sich – sofern sie sich nicht auf Zeugnissen wiederfinden – keine große Herausforderung darstellt. Es ist die Zeit im Leben, bei der Konsolidierung in der Profession und Luftschlösser eigener Zukunftsvisionen in den Hintergrund treten sollten und  man sich langsam einmal fragt, wo soll die Reise denn jetzt hingehen und wer sitzt mit einem zusammen auf der Lokomotive, wo man doch bisher immer nur die Züge im Leben gezogen hat, auf denen andere zu transportieren waren und für deren Reiseziel man Verantwortung trug. Man fragt sich, wann der erste, wohlerzogene Konfirmand mit schüchternem, gesenktem Blick einem seinen Platz in der vollen Straßenbahn anbieten wird und ob die Investition in einen Treppenlift noch vor einer Weltreise sinnvoller wäre.
Die begehrten Sportwagen damals nach Ablegen des Führerscheins  gelten heute schon als „Oldtimer“ und so langsam muss man feststellen, dass der Chrom an der Stoßstange (….des Oldtimers natürlich!) sich irgendwie harmonisch an die Farbgebung der Haare an der eigenen Schläfe anpasst. Dennoch ist es ein Gerücht, dass man heimlich nach altersgerechtem Wohnraum Ausschau hält, bloß weil man an einem Friedhof vorbeijoggt. Wenn ich heute also als berufsjugendlicher „Silver Surfer“ mich frage, welche Wellen noch zu reiten sind und ob ich die total verwaschene, an den Knien zerfetzte Jeans wirklich noch anziehen kann ohne zum öffentlichen Ärgernis zu werden, so hat doch eines Bestand:Blut ist dicker als Wasser! – und es macht (mich) glücklich und zufrieden, sich / mich als Mitglied einer Familie zu wissen, sei es als Bruder oder als Vater, hoffentlich noch nicht so schnell als Großvater und hoffentlich noch lange als Sohn.
Liebe ist, was wirklich zählt, auch wenn man es nicht sofort als Kind beim geschwisterlichen Kampf um die größere Portion Spaghetti oder Nachtisch oder die Aufmerksamkeit der Eltern verspürte. Die Zuneigung, die man durch Geschwister erfährt, ist wunderbar, eben auch weil sie sich selten an kritiklose Leidenschaft der Liebesbeziehung zwischen Partnern orientiert, sondern schonungslos selbst längst vergessene, lieber todgeschwiegene Kindheitsverfehlungen ans Tageslicht zu bringen weiß….Gerne immer wieder einmal im Familienkreis preisgegeben unter den  feixenden Kommentaren der eigenen Kinder. So erinnre ich mich sehr wohl an einen Spielfreund aus Kindertagen, der auf seine kleine Schwester stets aufzupassen hatte, wenn die berufstätigen Eltern das nicht sicherstellen konnten. Aber auch ausgerechnet immer dann, wenn wir an den noch Handy- und Wii-losen Nachmittagen auf dem Bolzplatz nach den Hausaufgaben Fußball spielen wollten.  Sein pragmatischer Ansatz, den ich voll unterstütze, war , die kleine Schwester in den heißen Phasen des Spiels mit ihrem Springseil (einschließlich einer gewissen Bewegungstoleranz)  an einen der Pfosten zu binden. Geschuldet war das ausschließlich ihrem Unwillen sich aktiv in Sturm oder Verteidigung am Spiel beteiligen zu wollen, jedoch tat sie das dann doch hier und da unfreiwillig, wenn der Torschuss unabsichtlich sie statt den Pfosten traf….
Ich traf sie vor ein paar Jahren in der Heimatstadt zufällig wieder, heute Chef-Stewardess bei der Lufthansa und noch immer für mich die kleine, blonde  Schwester meines Kumpels. Wir haben über Vieles zusammen gelacht, aber als ich unsere gemeinsamen Fußballnachmittage am Bolzplatz erwähnte war Schluss mit lustig….Dennoch war es wunderbar!
Ihr EvP



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